Presseerklärung vom 30. Juli 2003



Bombenabwurfplatz Kyritz-Ruppiner Heide (bei Wittstock)


Wir haben heute vor dem Verwaltungsgericht Potsdam Klage gegen die Entscheidung des Bundesverteidigungsministeriums zur Inbetriebnahme des Bombenabwurfplatzes und Luft-Boden-Schießplatzes erhoben. Die Klagen haben aufschiebende Wirkung; die angekündigte Inbetriebnahme am 15. August 2003 wird daher nicht stattfinden.

1. Es wurden insgesamt 12 Klagen erhoben. Folgende Klagegruppen beteiligen sich an dem Verfahren:

a) Kläger sind zunächst diejenigen Gemeinden, die bereits in den letzten 10 Jahren erfolgreich vor der Verwaltungsgerichtsbarkeit die Nutzung des Bombenabwurfplatzes verhindert haben. Diese Gemeinden hatten seit 1994 gegen die geplante Inbetriebnahme geklagt und in allen drei Instanzen gewonnen; zuletzt war der Bundeswehr durch rechtskräftiges Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 14. Dezember 2000 eine Nutzung einschließlich der hiermit zusammenhängenden Tiefflüge untersagt worden. Die klagenden Gemeinden gehören insbesondere den Ämtern Rheinsberg und Wittstock-Land an; das Gemeindegebiet dieser Kläger wird durch die Beanspruchung des Bombenabwurfplatzes in großem Umfang (bei Schweinrich über 50%) beansprucht und abgesperrt. Darüber hinaus wurden die Klagen erhoben für Anliegergemeinden im südlichen Teil von Mecklenburg-Vorpommern (insbesondere die Gemeinde Rechlin am Müritzsee), deren Ortsgebiet in der Tiefflugschneise des Bombenabwurfplatzes liegen.

b) Eine zweite Gruppe von Klägern besteht aus besonders betroffenen touristischen Unternehmen im Bereich der Tiefflugschneise des Bombenabwurfplatzes. Diese Unternehmen haben sich dort in besonders ruhigen und schutzwürdigen Erholungsgebieten angesiedelt und sind hierzu auch in den 90iger Jahre gefördert worden. Tieffluglärm würde den weiteren Betrieb dieser Unternehmen gefährden oder sogar verunmöglichen.

c) Kläger sind darüber hinaus anerkannte Naturschutzverbände in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern. Diese Klagen sind deshalb besonders erfolgversprechend, weil in den letzten drei Jahren aufgrund der zwingenden Vorgaben des Rechts der Europäischen Gemeinschaften „Habitate“ (also durch Recht der Europäischen Gemeinschaften geschützte Naturschutzgebiete) im Auswirkungsbereich des Bombenabwurfplatzes festgesetzt worden sind. Über 80% des gesamten Bombenabwurfplatzes sind als gemeinschaftsrechtliches Habitat wegen der sonderschutzwürdigen Vegetation festgesetzt. Darüber hinaus sind von den Truppenübungen und insbesondere den Tiefflügen insgesamt über 10 kleinere und größere Habitate betroffen, die insbesondere dem Schutz der dort befindlichen vom Aussterben bedrohten Vögel dienen. In besonderem Maße gilt dies für den Müritz-Nationalpark, der in seinem südlichen Teil nach europäischem Recht ein besonders qualifiziertes Vogelschutzgebiet darstellt. Die anerkannten Naturschutzverbände machen ihre Rechte insbesondere in der seit dem Jahre 2002 durch das Bundesnaturschutzgesetz eingeräumten Verbandsklage geltend, die gerade zum Schutz der europarechtlichen Habitate durch gerichtliche Überprüfungen geschaffen wurde.

2. Eine vorläufige Abschätzung der von uns beauftragten Sachverständigen zu den Lärmbelastungen ergibt, dass die Zumutbarkeitsgrenze der Gesundheitsschädigung der betroffenen Bewohner in allen Bereichen – teilweise schwerwiegend – überschritten ist. Eine Auswertung der angefochtenen Entscheidung und der zugrundeliegenden Lärmberechnung gelangt zu dem Ergebnis, dass pro Jahr weit über 10.000 Tiefflüge zulässig sind, von denen die meisten außerhalb des Platzes über bewohnten Gebieten stattfinden. Im Ergebnis bedeutet dies, dass in den Flugzeiten täglich ca. 50 bis 75 Tiefflüge – teilweise nachts – stattfinden. Teilweise sind über den Wohngebieten Tiefflüge von weit unter 300 m auch nachts zugelassen. Mehrere Gemeinden werden sowohl durch die An- und Abflüge als auch durch die so genannten Platzrunden von mehreren Seiten her überflogen.

Offensichtlich wurden die Belastungen der europäischen Naturschutz- und Vogelschutzgebiete durch die Tiefflüge und die Truppenübungen überhaupt nicht untersucht. Dies widerspricht zwingenden Vorgaben der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. Da der abgesperrte Bereich selbst zu über 80% ein europäisches Naturschutzgebiet ist, sind Tiefflüge, simulierte Bombenabwürfe und insbesondere Truppenübungen hier nach europäischem Recht ohnehin bereits zwingend ausgeschlossen. Die für eine Inbetriebnahme des Bombodroms erforderliche europarechtliche Verträglichkeitsprüfung hat offensichtlich überhaupt nicht stattgefunden; sie könnte auch nicht zu dem Ergebnis führen, dass eine Nutzung zulässig ist.

3. Die Klagen haben aufschiebende Wirkung, so dass eine Inbetriebnahme (insbesondere Tiefflüge) weiterhin nicht zulässig ist; dies gilt grundsätzlich bis zu einer abschließenden Entscheidung der Verwaltungsgerichtsbarkeit.

Theoretisch besteht für das Verteidigungsministerium die Möglichkeit, die sofortige Vollziehung der Nutzungsentscheidung anzuordnen. Dies ist in dem angefochtenen Bescheid aber nicht geschehen. Ob eine solche Anordnung nachträglich noch zulässig wäre, ist im vorliegenden Fall zweifelhaft.

Eine Vollziehungsanordnung kann nach der Verwaltungsgerichtsordnung nur ausnahmsweise erfolgen, da das Gesetz grundsätzlich davon ausgeht, dass Betroffene eine abschließende gerichtliche Entscheidung verlangen können. Es sind auch keine Gründe für die ausnahmsweise Vollziehung des Bescheides ersichtlich. Simulierte Bombenabwürfe durch die Bundeswehr finden seit den 50iger Jahren auf zwei vorhandenen Plätzen (in Nordrhein-Westfalen und Bayern) sowie insbesondere über dem offenen Meer und in unbesiedelten Gebieten von Bündnispartnern in Nordamerika statt. Das Bombodrom Wittstock wird seit 1990 praktisch nicht mehr genutzt. Das Verteidigungsministerium kann keinen Grund vortragen (und trägt auch keinen vor), der eine Eilbedürftigkeit der Inbetriebnahme des Bombodroms Wittstock rechtfertigen würde.

4. Wir haben das Verteidigungsministerium heute vorab über die Klageerhebung unterrichtet und unter Fristsetzung bis zum 08. August 2003 zu der Erklärung aufgefordert, dass die aufschiebende Wirkung der Klagen respektiert wird und dass auf unbestimmte Zeit bis zur Entscheidung der Verwaltungsgerichtsbarkeit keine Tiefflüge und sonstigen Nutzungen stattfinden. Wir haben ferner darauf hingewiesen, dass wir – sollte eine solche Erklärung nicht abgegeben werden – vor dem angekündigten Betriebsbeginn am 15. August 2003 durch einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung vor der Verwaltungsgerichtsbarkeit die aufschiebende Wirkung der Klagen durchsetzen werden.

Wir haben das Verteidigungsministerium ferner darüber informiert, dass wir – sollte die vorbezeichnete Erklärung nicht abgegeben werden – wegen der Bedrohung der Habitate die Europäische Kommission auffordern werden, der Bundesrepublik die sofortige Inbetriebnahme des Bombodroms vorläufig bis zu einer verwaltungsgerichtlichen Entscheidung zu untersagen.


Ergänzende Informationen:

Das Bombodrom Wittstock war seit Anfang der 50er Jahre von der sowjetischen Armee in der Kulturlandschaft Brandenburgs zwischen Neuruppin und Rheinsberg illegal errichtet worden. Die Gemeinden und eine Vielzahl von Landwirten, Kirchengemeinden etc. waren entschädigungslos enteignet worden. Ende 1988 war das Bombodrom auf ca. 140 Quadratkilometer angewachsen. Nach 1990 entschied der Bund, das dass Gelände den Gemeinden und Eigentümern zurückgegeben werden soll; hierauf begannen die Planungen und Ansiedlungen der Gemeinden für eine Renaturierung des Geländes und zur friedlichen touristischen Nutzung. Kurz vor Abzug der Roten Armee im Jahr 1993 entschied die Bundeswehr dann überraschend, dass das Gelände wieder militärisch genutzt werden sollte; das gesamte Gelände wurde mit Zäunen bzw. Tafeln, die Schusswaffengebrauch androhten, abgesperrt.

Wir haben dann für sämtliche Gemeinden, auf deren Gebiet das Bombodrom liegt, Klagen erhoben und die Nutzung des Bombodroms untersagt. Die Klagen waren in allen drei Instanzen erfolgreich. Zuletzt hat das Bundesverwaltungsgericht durch Urteil vom 14. Dezember 2000 der Bundeswehr die Nutzung untersagt; es hat aber offen gelassen, dass die Bundeswehr ein förmliches Verwaltungsverfahren durchführt, in welchem die Belastungen der Bevölkerung durch den Tieffluglärm sowie die ökologischen Schädigungen der Natur im Einzelnen untersucht werden sollen (4 C 13/99).

Die Bundeswehr hat dann zwar eine Anhörung durchgeführt, eine wirkliche Abschätzung der Auswirkungen erfolgte jedoch nicht. Die Lärmbelastungen in der nunmehr geplanten Nutzung würden für die gesamte Region unerträglich sein und die in über 10 Jahren aufgebauten Renaturierungen, touristischen Einrichtungen etc. zerstören. Offensichtlich sind die Auswirkungen auf die europarechtlichen Naturschutzgebiete von der Bundeswehr überhaupt nicht geprüft worden. Diese rechtlichen Mängel sind sowohl nach deutschem als auch nach europäischem Recht schwerwiegend und unüberwindbar.

Es besteht aller Anlass zur Zuversicht, dass die Verwaltungsgerichte auch diesen neuen Versuch zur Inbetriebnahme untersagen werden.


gez. Dr. Reiner Geulen & Dr. Remo Klinger