Andacht zum Ostermarsch

2001 in Fretzdorf

Almut Berger, Ausländerbeauftragte des Landes Brandenburg

 

Liebe Ostermarschierer in Fretzdorf !

 

Ich freue mich, dass so viele von euch gekommen sind. Wir haben zu Hause schon gestern, als es so drohte, heute so zu werden überlegt, was es denn wohl für ein Mittel gäbe,  gegen so unösterliche Empfindungen, bei Regen und bei Kältegraden, wenn man sich den warmen Pullover rausholen muss. Und dann hat unser 7-jähriger Enkelsohn ein Bild gemalt. Das hab ich Euch mitgebracht. Er hat ein Bild gemalt, mit einer ganz großen leuchtenden gelben Sonne  darauf. Und mit kräftigen Strahlen und vielen schönen bunten Blumen. Damit wir nicht vergessen, damit wir uns dran erinnern, dass es doch eigentlich schon Frühling ist. Und das die Sonne ja da ist; auch wenn wir sie jetzt  gerade nicht sehen können und viele Regenschirme aufspannen müssen. Ich hoffe, trotz der Regenschirme könnt Ihr das ein bisschen sehen. Und dann haben wir uns gesagt, schließlich fällt Ostern ja nicht aus wegen Regen.

Ostern, das Fest der Hoffnung, das für die Einen das Fest der wiedererwachenden Natur nach dem Winter ist und das die Christen unter uns als ein Fest feiern, wo man den Sieg des Lebens und der Hoffnung über den Tod feiert und dabei an Jesus denkt, der vor 2000 Jahren hingerichtet wurde, gestorben ist und heute noch immer in vielen Menschen lebendig ist und ihnen Kraft gibt.

Dieses Ostern, das ist nicht Wetterabhängig, weil die Hoffnung nicht wetterabhängig ist.

Janosh Bild erinnert uns: Die Sonne, mit ihren wärmenden und belebenden Strahlen ist da, auch wenn wir sie nicht sehen.

Liebe Freundinnen und Freunde, eigentlich ist das ja eine ebenso einfache wie bewährte Sache, und sie ist uralt. Immer wieder  haben Menschen Hoffnungsbilder gemalt, mit Worten mit Zeichen. Sie haben sich Geschichten erzählt oder ihre Träume. Sie haben sich dran festgehalten und aufgerichtet und sich daran erinnert, es gibt noch etwas Anderes neben der vordergründigen sichtbaren Wirklichkeit. Sie haben sich geweigert, einfach nur die sogenannte Macht des Faktischen anzuerkennen und Schwierigkeiten und Enttäuschungen für unüberwindlich zu halten. Und Sie Alle, die Sie jetzt schon zum 70. mal für eine freie Heide hier unterwegs sind, sie sind eigentlich das allerbeste Beispiel dafür. Manche Menschen tun sich allerdings etwas schwer damit. Träume, Visionen, solche Hoffnungsbilder als wichtig anzuerkennen. Sie meinen, dass allein die Realität unser Handeln bestimmen muss „Wer Visionen hat, der soll zum Augenarzt gehen.“ Das soll Helmut Schmidt einmal gesagt haben. In der Bibel steht etwas anderes. Da steht: „Ein Volk ohne Visionen geht zu Grunde.“

Wer keine Hoffnung sieht, wer keine Visionen erkennen kann, auch keine politische Vision, der meint es gibt nichts für das es sich zu leben lohnt, worauf hin wir uns und unsere Kinder orientieren können. Es gibt einen Werteverlust in unserer Gesellschaft, so sagen viele, wenn sie die Gewalt und Brutalität erleben gegenüber Anderen , Schwächeren; oder auch die Unfähigkeit Andersartigkeit und Vielfalt zu akzeptieren. Vielleicht ist diese Gewalt unter anderem auch ein Ausdruck davon, dass die Visionen, die Hoffnungsbilder bei vielen verlorengegangen sind.

Wir können uns aber an solche Bilder erinnern. Und ich denke, ein solcher Platz, ein solcher Ort, und ein solcher Zeitpunkt wie hier ist genau der Richtige dafür. Eine Menge solcher Hoffnungsbilder sind in der Bibel aufgeschrieben. Viele haben Christen und Juden gemeinsam und manche sind über alle Grenzen von Religionen hinaus wichtig geworden. Das Bild von den Schwertern, die zu Pflugscharen umgeschmiedet werden , kennt wohl fast jeder hier auf dem Platz. Oder das Bild von einer scheinbar abgestorbenen toten Wurzel, aus der ein frischer Trieb aufgeht. Ich möchte Euch heute ein anderes Bild in Erinnerung rufen, oder vielleicht auch neu vorstellen. Mehr als 2500 Jahre ist es alt. Und es stammt aus einer Nachkriegszeit. Der kleine Staat Juda hatte in Allianz mit der Großmacht Ägypten zu denen gehört, die von der anderen Großmacht, die hoch aufgerüstet und technischen know how versehen gekämpft hatte, nämlich Babylon, besiegt worden. Es war damals üblich, dass man dann die führenden Familien der Besiegten, die Offiziere, die Wissenschaftler, die Priester deportierte.

Man wollte verhindern, dass sie Widerstand gegen die Besatzungsmacht organisierten. Es ging Ihnen nicht so sehr schlecht, den Deportierten in Babylon. Babylon war nicht Sibirien und sie hatten kein Lagerdasein. Aber ihre Widerstandskraft wurde immer mehr gebrochen. Einige von ihnen lebten nur noch rückwärts gewandt und sehnten sich nach der Vergangenheit und Ihrer alten Heimat zurück. Andere arrangierten sich vollständig mit den neuen Herren, mit dem neuen Glauben, den neuen Verhältnissen.

Hoffnungen, Visionen ? Fehlanzeige ! Einer unter den Juden in Babylon war Hesekiel. Er stammte aus einer Priesterfamilie und war schön öfters  durch ungewöhnliche Reden aufgefallen. Er stellte sowohl den saturierten angepassten, die keine Fragen mehr stellten und auch den Nostalgikern , die nur in der Vergangenheit lebten ein eindrückliches Bild vor Augen. Ich hatte einen Traum sagt er. Ich stand auf einem weiten großen Feld, einem Totenfeld. Wie nach einer Schlacht lagen überall Tote herum. Aber sie müssen schon lange dort gelegen haben, denn sie waren ganz vertrocknet und verdorrt. Da war kein Leben, keine Hoffnung, nichts. Wir kennen solche Bilder liebe Freundinnen und Freunde. Auch hier auf der Heide hatte der Krieg 1945 ein solches Totenfeld hinterlassen. In seinem Traum fragt Gott den Hesekiel : Meinst Du, dass diese Knochen wieder lebendig werden können? Eine absurde, eine fast lächerliche Frage.

Was soll man darauf antworten? Hesekiel sagt etwas, was man vielleicht als „diplomatisch“ bezeichnen könnte, aber vielleicht ist es auch einfach das große Vertrauen, das aus ihm spricht . Er sagt : „ Gott, du weißt es!“ Und dann bekommt er einen ungeheuerlichen Auftrag.

Er soll diese toten Knochen zu lebendigen Menschen machen. Im Auftrag und mit der Kraft Gottes. Was jeder Realität Hohn spricht, das sieht Hesekiel in seinem Traum. Ich sah, wie die verstreuten Gebeine zusammenrückten; sagt er. Wie ihnen Sehnen wuchsen, mit Fleisch darüber, und wie sie mit Haut überzogen wurden. Und aus allen 4 Himmelsrichtungen kommen die Winde und blasen den noch Unbelebten neuen Lebensgeist ein. Jede Himmelsrichtung hat etwas einzubringen in das Leben. Dieser Gedanke ist auch bei anderen Völkern, bei indianischen Völkern z.B. vorhanden. Er begründet dort die Gleichwertigkeit und die Gleichwichtigkeit von Menschen aus dem Süden und Norden, aus dem Osten und dem Westen. Das ist Hesekiels Traum. Ein Totenfeld wird wieder zu lebendigen Menschen.

Nicht zu einer Ausstellung von Körperwelten ,wie wir sie zur Zeit in Berlin sehen können, sondern zu Menschen mit Geist und Seele und Lebenskraft und Hoffnung. Und er sagt gleich dazu, wie er  dieses Bild versteht. Ihr seid die Toten; sagt er zu seinen Landsleuten. Ihr seid abgestumpft, nur noch daran interessiert gut zu verdienen und nirgends anzuecken. Ihr regt euch nicht mehr auf über Ungerechtigkeit und Gewalt. Ihr seid Gleichgültig. Steht Schulterzuckend da und sagt: „Da kann man nichts machen.“ Oder ihr Anderen, ihr gebt euch euerer Resignation, und euerem Frust hin und sagt auch: „Da kann man nichts machen.“ Ihr seid wie tot. Aber ihr müsst es nicht bleiben. Hesekiel und nach ihm viele andere jüdische und dann auch christliche Menschen sagen: „Gott kann Menschen die Kraft geben ihre Gleichgültigkeit oder ihre Resignation zu überwinden.“ Viele von Ihnen würden das vielleicht anders ausdrücken. Aber gemeinsam ist uns, dass wir ein Totenfeld nicht ein Totenfeld sein lassen wollen. Gemeinsam ist uns, die Hoffnung, dass ein Bombenabwurfplatz  eine freie Heide wird. Dass nicht Ignoranz und Willkür das letzte Wort haben, sondern der Wille zum Leben. Gemeinsam ist uns, dass wir der Gleichgültigkeit und Resignation unser Engagement gegenüberstellen. Gemeinsam ist uns, dass wir ein menschenwürdiges Leben wollen. Für die Bewohnerinnen und Bewohner hier ohne ständige Beeinträchtigung durch Bomben und Flugzeuglärm. Für Andere ohne ständige Beeinträchtigung ihrer Würde durch Diskriminierungen und rassistische Gewalt.

 

Liebe Freundinnen und Freunde, das braucht einen langen Atem . Das braucht immer wieder Mut und Zivilcourage und manchmal auch ganz mühsame Kleinarbeit wenn es  dann vielleicht um das Schreiben von vielen einzelnen Einwendungen in einem Planfeststellungs-verfahren geht. Da wir es wichtig sein, durchzuhalten und sich gegenseitig zu helfen. Ich denke aber, das Engagement der Bewohnerinnen und Bewohner hier und so vieler, die sie unterstützen macht auch anderen Mut. Z.B. für die vielen kleinen und mühsamen Schritte, die nötig sind, damit Menschen anderer Herkunft in unserem Land endlich mehr akzeptiert werden und wir gleichberechtigt mit ihnen leben.

 

Liebe Freundinnen und Freunde, als der Janosh mir sein Sonnenbild gab, da hat er gesagt; Du, ich hab meine ganze Kraft darein gelegt beim malen, damit man die Sonne auch gut sieht. Ich wünsche uns viele so kraftvolle Bilder gegen die Schwierigkeiten und Widrigkeiten im Alltag.                  

Ich wünsche uns die Erfahrung aus Hesekiels Traum: Dass tödliche Hoffnungslosigkeit und Resignation und Gleichgültigkeit nicht das letzte Wort haben, sondern die lebendig machende Hoffnung. Und als Christin verbinde ich das mit der Bitte, dazu helfe uns Gott . Amen.

 

 

Ostern 2001

 

 

 

 

 

f.d.R.d.A : Rainer Kühn, Chronist der BI FREIe HEIDe

                Protokoll nach Tonbandmitschnitt